Schweinbarther Kreuz Verkehrspolitik

Die Nachteile eines Busnachfolgeverkehrs am Beispiel des Schweinbarther Kreuzes

ÖBB 5047

Ich bin Anrainer des sogenannten Schweinbarther Kreuzes. So wird in jüngster Zeit der noch bestehende Rest des Nebenbahnnetzes im nördlichen Weinviertel genannt, der sich aus den Lokalbahnen Stammersdorf – Dobermannsdorf, sowie Gänserndorf – Mistelbach zusammensetzt. Freilich wird dieses Gesamtnetz seit 1988 nicht mehr betrieben, es besteht lediglich ein Restverkehr zwischen Gänserndorf und Obersdorf, sowie eine Stichstrecke nach Bad Pirawarth. Noch.

2019 beschlossen die Verantwortlichen (Politik, ÖBB, VOR), die Bahnstrecke still zu legen und durch Autobusse zu ersetzen. Abgesehen davon, dass dies die von der Politik ausgegebenen Parole „Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern“ genau ins Gegenteil verkehrt, werden allein die im Jahr 2018 getätigten Investitionen in die Strecke (zB. zwei neue Bahnschrankenanlagen) ad Absurdum geführt. In Zeiten des Klimawandels und der angestrebten Verkehrswende ist so eine Politik nicht mehr nachvollziehbar, es wird wieder einmal ein Busnachfolgeverkehr als innovativ angepriesen, obwohl das eigentlich die Politik der 1960er-Jahre darstellt.

Abgesehen davon, dass diese Schienenersatzverkehre noch bei keiner eingestellten Bahnstrecke mehr Fahrgäste gebracht haben, wird dieser im nördlichen Weinviertel auch noch so dilettantisch umgesetzt, dass zu erwarten ist, dass es in kurzer Zeit überhaupt keine öffentlich fahrenden Fahrgäste in der Region mehr geben wird. Eine Erklärung hierfür erscheint in einem gesonderten Artikel.

Nachteile

Buslinien haben gegenüber den Bahnlinien immer den Nachteil, dass sie von vielen Fahrgastgruppen nicht gerne genutzt werden. Es wird immer wieder vom sogenannten Schienenbonus gesprochen. Dieser besagt, dass ein Zug am Gleis fahren muss und es somit für den Fahrgast besser nachvollziehbar ist, wohin man kommt. Bei den Buslinien ist das schon weitaus komplizierter. So fahren Busse mit dem Ziel „Gänserndorf“ beispielsweise einmal über Schönkirchen-Reyersdorf, andererseits mal über Prottes oder sie nehmen überhaupt die „romantische“ Tour über Auersthal. Ein Bus fährt vom Hauptplatz weg, der nächste von der Schule. Der Dritte hält im Bereich der Schule bei einer anderen Haltestelle als alle anderen Busse und der Vierte lässt bei der Schule Fahrgäste an einer Stelle aus- und einsteigen, an der sich überhaupt keine Haltestelle befindet! Da läuft man durchaus Gefahr, nicht ans richtige Ziel zu gelangen. Abgesehen davon, dass sich die Fahrgastinformation am Fahrzeug meist auf ein Zielschild „Gänserndorf“ beschränkt, es im Fahrzeug aber weder Lautsprecheransagen, noch einen Plan oder einen Bildschirm der folgenden Haltestellen gibt – und wenn doch, wird er nicht benutzt.

Die Lokführer der Triebwagen sagen jede Haltestelle an.

Die Erfahrung zeigt auch, dass ein zentraler Bahnhof von den meisten Fahrgästen leicht gefunden werden kann, jedoch die verstreuten Bushaltestellen im Ort eher nicht.

Die Anrainer nannten aber noch weitere, nicht zu verachtende Nachteile, denen von den Verantwortlichen aber eher wenig Beachtung geschenkt wurden:

Fehlende Parkmöglichkeiten

Im Bereich von Bahnhöfen ist oft Platz vorhanden. So bieten die Umgebungsbereiche der Bahnhöfe einige Abstellplätze für PKW und Fahrräder, damit auch Personen, die nicht im nahen Einzugsgebiet des Bahnhofs zu diesem zufahren, ihr Privatfahrzeug dort abstellen und mit der Bahn weiterreisen können. Eine Bushaltestelle bietet das nicht an. Meist wird einfach ein Grünstreifen mit Asphalt versiegelt und das war’s. Kein Fahrradparkplatz, keine KFZ-Abstellmöglichkeiten.

Keine Fahrradmitnahme

Das nördliche Weinviertel ist mit seinen vielen asphaltierten Radwegen ein beliebtes Ausflugsziel. Neben dem ÖMV-Erlebnisradweg, gibt es da noch einige andere Radwege, die viele Radfahrer im Wein- und Ölland anziehen. Der Traminer- und der Muskateller-Radweg sind hierfür stellvertretend genannt. Während man in den ÖBB-Zügen Fahrräder gegen Aufpreis mitnehmen kann, wird das in den Bussen des Ersatzkonzeptes nicht mehr möglich sein.

Verspätungen, Pünktlichkeit

Während das Schweinbarther Kreuzes im Gegensatz zu den umgebenden Bahnlinien wie Nordbahn und Laaer Ostbahn zu einer der pünktlichsten Bahnlinien Österreichs zählt, sieht es bei den Bussen eher schlecht aus. Das kann man schon jetzt erleben, es gibt ja bereits jetzt ein Busergänzungsnetz im nördlichen Weinviertel – auch „Lufttransporte“ genannt, weil kaum jemand mit fährt. Und diese Busse kommen nie pünktlich. Verspätungen zwischen 2 und 7 Minuten sind die Regel – und manchmal kommen sie auch zwei Minuten zu früh! Nun sind die Fahrpläne aber meist so gestaltet, dass man am Bahnknotenpunkt genau zwei Minuten Zeit hat, um umzusteigen. Abgesehen davon, dass das für Personen, die die Aufzüge benutzen müssen, kaum zu schaffen ist, wird das Angebot schon allein dadurch unbenützbar, wenn der Zubringerbus am Abfahrtsort bereits fünf Minuten Verspätung aufweist und man somit beispielsweise in Gänserndorf gar nicht in den Zug umsteigen kann, da dieser bereits seit 3 Minuten weg ist.

Gibt es auf diesen Buslinien dann noch andere Besonderheiten, die das Fahrzeug ausbremsen, wie Traktoren, LKW, langsame Autofahrer, rote Ampeln, baustellen- oder veranstaltungsbedingte Umleitungen – oder es steigen bei mehreren Haltestellen tatsächlich Personen ein, die einen Fahrschein kaufen wollen – klettern die Verspätungen immer weiter nach oben.

Das heißt, man sollte spätestens 5 Minuten vor der Abfahrtszeit bei der Bushaltestelle sein, falls der Bus nicht doch mal zu früh kommt. Andererseits muss man dann erst recht länger warten, weil er dann erst recht 5 Minuten zu spät kommt. Die Bahn fährt nie zu früh von den Bahnhöfen ab.

Weitere Nachteile

Doch das sind nur die offensichtlichen Nachteile. Doch haben die Verantwortlichen schon mal an folgende Punkte gedacht?

Keine Fahrgastinformation

Es wird schlicht und ergreifend keine Fahrgastinformation geben. Während man beim Bahnbetrieb auf dem Handy mit diversesten Apps oder am PC Livedaten abfragen kann, aus denen hervorgeht, ob ein Zug eine Verspätung aufweist oder dieser ausfällt, gibt es das bei den Bussen im Verkehrsverbund Ostregion fast generell nicht – außer bei ein paar wenigen durch die ÖBB geführten Buslinien. Das Lächerliche: Da der VOR selbst auf die Fahrplanauskunft Österreich zugreift, kann man sich in der VOR-App die Livedaten der Zillertaler Verkehrsbetriebe anschauen, nicht aber jene der VOR-Linien, da existieren nur Soll-Fahrplandaten.

Es gibt keine Lautsprecher in den Haltestellen! Während es an jeder Bahnstation des Schweinbarther Kreuzes einen Lautsprecher gibt, mit denen bei Verspätungen oder Ausfällen Informationen mithilfe von Durchsagen an die Fahrgäste weitergegeben werden, damit diese sich orientieren können, wird es beim Busnachfolgeverkehr absolut nichts dergleichen geben. Keine Echtzeitdaten mittels Handy, keine Lautsprecherdurchsagen im Störungsfall. Kommt ein Bus mal nicht oder später: Warten auf Godot.

Versteckte Preiserhöhung

Im Prinzip gilt der Verbundtarif. Inhaber einer ÖBB-Vorteilscard (und Ähnliche) können bei Bahnlinien großzügige Rabatte erhalten. Dies zahlt sich vor allem bei Einzelfahrten aus. Seitens des VOR zeigt man sich aber kulant, sodass man die Vorteilscard – und die Österreichcard noch einige Zeit auf den Buslinien anerkennen wird.

Doch darüberhinaus? Bei meiner Reise nach Hamburg vor ein paar Jahren, galt mein Nachtzugticket zum Fixpreis direkt ab Matzen. Das wird es nicht mehr geben. Man wird sich ein Extraticket Matzen – Gänserndorf kaufen müssen. Nationale oder internationale Fernreisen werden also jedenfalls teurer.

Auch der Kauf von Fahrscheinen wird teurer und komplizierter. In den jetzigen Zuggarnituren sind Fahrscheinautomaten aufgestellt, bei denen man bei Fahrtantritt auch Wochen- und Monatskarten kaufen – und diese auch mit Bankomat-, Debit- oder Kreditkarte bezahlen kann. Im Bus wird es das nicht geben. Beginnt man seine Reise, muss man zunächst einen Einzelfahrschein zum nächsten Bahnhof (in Bar!) kaufen, um sich dann dort – falls es die Umstiegszeit erlaubt – eine Wochen- oder Monatskarte kaufen zu können.

Keine Fahrgastrechte

Bei Bahnreisen erhalten fernreisende Fahrgäste bei Verspätungen ab einer Stunde eine Entschädigung. Aber auch Pendler erhalten im Verspätungsfall von den ÖBB eine Entschädigung, soferne sie Inhaber von Jahreskarten sind und die Pünktlichkeit über einen längeren Zeitraum einen gewissen Wert unterschreitet. Entfällt der letzte Zug, müssen vom Bahnbetreiber sogar Übernachtungs-, bzw. Taxikosten ersetzt werden. Die Verordnungen und Gesetze für die Rechte der Fahrgäste sehen diese im Nahverkehr aber prinzipiell nur für die Fahrgäste von Bahnlinien vor. Beim Bus gibt es das nicht. Kommt man durch Ausfall eines Buskurses eine Stunde später zuhause an, erhält man nichts. Auch gibt es niemanden, der im Anlassfall für das Ausstellen von Verspätungsbestätigungen für den Arbeitgeber zuständig ist.

Verschiedenes

Während es auf jedem Bahnhof und in jedem Zug Mülleimer gibt, ist die Aufstellung von Mistkübeln bei Bushaltestellen Gemeindesache. Etliche Bushaltestellen bestehen lediglich aus einer Stange. Ohne Mülleimer.

Während es auf jedem Bahnhof die Möglichkeit gibt, sich vor dem Regen zu schützen, gibt es bei etlichen Bushaltestellen keinen wettergeschützten Fahrgastunterstand. Etliche Bushaltestellen bestehen lediglich aus einer Stange.

Während es auf jedem Bahnhof eine Sitzgelegenheit für wartende Fahrgäste gibt, gibt es sie bei nur wenigen Bushaltestellen. Etliche Bushaltestellen bestehen lediglich aus einer Stange.

Die zukünftige Haltestelle Matzen Hofgartenstraße, die den Bahnhof ersetzen soll. Einfach einen Grünstreifen mit Teer versiegelt. Kein Fahrgastunterstand, keine Sitzbank, kein Platz für Rollstuhlfahrer.

Fehlende Barrierefreiheit: Viele Bahnsteige am Schweinbarther Kreuz wurden im Laufe der Zeit auf „Norm“ gebracht. Das heißt, würde man Niederflurzüge einsetzen, wäre die Barrierefreiheit gegeben. Der Zustand der Bushaltestellen am Land ist aber meistens als schlecht zu bewerten, auch neu errichtete Haltestellen entsprechen keinesfalls den Anforderungen für Rollstuhlfahrer oder Kinderwagenführer.

A propós Kinderwagen: Autobusse sind zu meist nur für zwei Kinderwagen zugelassen. Was, wenn bereits zwei Kinderwagen im Bus sind? Bis zu einer Stunde Wartezeit auf den nächsten?

WC: Zwar sind bereits fast alle Bahnhofs-WCs am Schweinbarther Kreuz geschlossen, doch immerhin gibt es in den Zügen ein WC. Die Busse und deren Haltestellen werden keine Toilettenanlagen aufweisen.

Schnee: Während Schnee und Eis im Bahnbetrieb eher kein Problem darstellen (außer Extremereignisse), wird es spannend, was passiert, wenn die Busse die eisigen, nicht geräumten Straßen in der Früh benützen müssen.

Externe Daten: Neben den fehlenden Echtzeitinfos gibt es scheinbar überhaupt keine digitalen Daten über diese Linien. Scheinen die Bahnlinien am Schweinbarther Kreuz auf Plattformen wie Google Maps und anderen Öffi-Navis auf, sind weder Fahrplan- noch Routendaten in diesen Systemen abrufbar. Als würden die Buslinien nicht existieren.

Vorteile! Vorteile?

Von der Politik und vom VOR werden auch einige Vorteile des Busses gegenüber der Bahn genannt. Wollen wir diese auch kurz beleuchten:

Mehr Haltestellen: In einem Ort gibt es meist nur einen Bahnhof, man kann jedoch mehrere Bushaltestellen aufstellen und somit potentiell mehr Fahrgäste erreichen und ist damit näher am Kunden. Stimmt zwar prinzipiell aber auch nicht wirklich. Die Busse befahren ja weiterhin nur die Hauptstraßen, die Entfernung ist in den meisten Fällen die Gleiche oder sogar noch weiter, da sich die Orte mit ihren Bebauungsplänen an der Bahn orientiert haben.

Abgesehen davon wurden erst im letzten Jahr im Ortsgebiet von Gänserndorf etliche Bushaltestellen aufgelassen, die Bahnstraße (Einkaufsstraße) ist seither öffentlich nicht mehr erreichbar. Ziele wie die Gebietskrankenkasse wurden an den Ortsrand versetzt, an der die neue Buslinie 530 zwar vorbei fahren, jedoch keine Haltestelle haben wird. Einerseits viele Haltestellen als Vorteil anpreisen und andererseits viele Haltestellen auflassen? Interessant.

Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Art von Verkehr. Vielerorts werden selbstfahrende Minibusse getestet, darunter auch in Wien. Man könnte statt zahlreicher Stanglhaltestellen einen per App bestellbaren Bus in jeder Gemeinde zur Verfügung stellen, die die Fahrgäste abholen und im Ort zu den Zielen wie Arzt, Supermarkt und Bahnhof bringen könnten, somit wäre die letzte Meile überhaupt zu 100 % abgedeckt.

Ultimatives Killerargument, das für den Autobus spricht: Aber das Argument, was auf den Publikationen des VOR am meisten ins Auge springt und immer wieder als Vorteil der Busse genannt wird ist: Kostenloses WLAN.

Es scheint so, als würde man kostenloses WLAN als vollständigen Ersatz für die obgenannten Nachteile sehen. Witzig in einer Region, die zu 100 Prozent durch schnelles LTE-Netz ausgeleuchtet ist. Dass das Gratisinternet wirklich die Busse füllen wird, ist wohl eher nicht anzunehmen.

Abgesehen davon: Selbst die alten 5047-Triebwagen der ÖBB könnte man leicht mit WLAN ausstatten, da gibt es genug bahntaugliche Geräte.

Ende des öffentlichen Verkehrs?

All diese Nachteile sind Gründe, warum Busersatzverkehre für stillgelegte Bahnstrecken nicht funktionieren. Bahnfahrgäste sind Besseres gewohnt und werden es wohl kaum akzeptieren, ums gleiche Geld weniger Service in Anspruch nehmen zu können. Der Verkehrsverbund Ostregion wird seinerseits aber kaum zu einer Ticketpreisminderung bereit sein. Das – und die schlechten Fahrpläne – werden wohl oder übel dafür sorgen, dass auch noch die letzten Fahrgäste verschwinden werden.

Stefan Schedl, Matzen im Weinviertel, 08.08.2019