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Der Klogang

Hubert Gaißmaier hat ein Problem. Ein richtiges Problem. Es besteht ca. seit er 16 ist, so richtig bewußt wurde es ihm allerdings erst vor kurzem, recht bald nach seinem 26. Geburtstag. Vorallem, daß es tatsächlich ein Problem ist, wurde ihm kürzlich klar. Es ist eines seiner vielen Geheimnisse, die er nicht wagt, auch nur irgendwem zu erzählen. Es ist jetzt nicht wirklich ein drastisches Problem, manch einer würde es eher Marotte nennen, für ihn ist es aber mittlerweile ein Problem geworden.

So sehr er sich davon gestört fühlt, so sehr er dagegen ankämpft und diese Bürde gerne los wäre, so
schwierig ist sein Ziel zu erreichen. Er schafft es einfach nicht, dieses Kreuz abzulegen und unbeschwert sein Leben zu verrichten. Die Belastung, die Hubert Gaißmaier durch diese Strafe Gottes beinahe täglich zu spüren bekommt, ist für ihn beinahe schon so groß, daß er alles ihm bekannte hinschmeißen möchte. Er findet einfach keine Lösung, er kann sich nicht helfen.
Er kann leider auch mit niemandem darüber reden. Das macht die Angelegenheit umso schlimmer.
Bekanntlich ist geteiltes halbes Leid und so bleibt ihm nur die volle Portion an Leid und ja, sogar Selbstmitleid. Wobei, wenn wir uns ehrlich sind, so schlimm ist sein Problem nicht. Nüchtern und
objektiv betrachtet ist es nicht wirklich ein Problem. Ich meine, da gibt es weitaus schlimmeres, wie
zum Beispiel der Hunger auf der Welt oder daß man sich beim Sägen den Daumen entfernt hat und
nun nicht mehr die Gabel halten kann. Nicht einmal das. Doch für ihn ist es direkt eine Beeinträchtigung der Lebensqualität, er leidet sehr darunter.
Hubert Gaißmaier kann nämlich nicht scheißen gehen, ohne dabei etwas zu lesen. Da er aber schon all seine Bücher gelesen hat und nicht wirklich auf Wiederholungen steht, zögert sich der Gang zum Lokus extrem heraus. Er spürt schon einen riesengroßen Druck, der von innen auf dem After lastet.

Irgendwo auch angenehm, weil es von innen auf die Prostata drückt. Insgesamt aber sehr belastend.
So rennt er nervös durch seine Wohnung auf und ab. Von Bücherschrank zu Bücherschrank. Ja sogar im Altpapier schaut er nach, ob er nicht irrtümlich eine ungelesene Bezirkszeitung
weggeworfen hat. Doch meistens Fehlanzeige. So rennt er fast täglich mit zugekniffenem Arschloch durch die Wohnung, fast bis es zu spät ist. Dann schnappt er sich irgendwas aus dem Regal, meist ein Buch über Weltrekorde, das ist so belanglos, daß er sich keine Einzelheiten merkt und so die
Inhalte stets auf irgendeine Art neu für ihn sind.

Hat er nun endlich das Buch bei der Hand, muß er schon rennen, um nicht einen mächtigen Materialschaß in der Untergatte zu hinterlassen. Er rennt zum Kloraum, knöpft sich die Hose auf, zieht den Zipverschluß herunter, reißt die Hose zu den Knöcheln, die Unterhose ebenso und setzt sich. Und da pflortscht sein Darminhalt auch schon unaufhaltsam und mit Höchstgeschwindigkeit in die Keramik. Und jetzt ist er fertig. Er wischt sich aus, bekleidet sich redlich und verläßt nach dem Spülen den Ort des Geschehens und wäscht sich die Hände. Er hat keine Zeile des Buches gelesen und hätte gar keines gebraucht, der Trottel.