Medien

Eine Lanze brechen für Ö2

20.05.2019 – Wien:

Als jemand, der noch die Zeiten von Ö3 mitbekommen hat, als es sich bei diesem Programm noch um einen Radiosender – und nicht um eine Sendefläche – handelte, ist man natürlich eher Zuhörer als Hörer. Ö3 Zickzack hat das Interesse geweckt, FM4 hat mich aufgezogen und in weiterer Folge spielte dann Ö1 auch eine immer größere Rolle. Ö3 wurde seither nur mehr ganz selten gehört. Im Auto halt. Ich gebe zu, manchmal weicht man auch auf diverse Privatsender aus, wenn diese spezielle Musiksendungen senden. Aus beruflichen Gründen läuft in der Arbeit Radio Wien (das ich aus Gründen jetzt nicht zu Ö2 zähle). Dennoch, man hört, was man halt so hört, was man gewohnt ist, eine Filterblase eben.

Der böse Automechaniker

Als dann eines Tages das KFZ nach der Reparatur wieder übernommen wurde, musste festgestellt werden, dass es offenbar einen Reset des Systems gab, da alle Radiosender gelöscht waren. Dafür war auf Position 3 „Radio Niederösterreich“ eingespeichert. Nie und nimmer würde ich Radio Niederösterreich hören – aber viel nier und nimmerer würde ich auf der Autobahn während der Fahrt anfangen, Sender zu suchen, also blieb ich dabei. Bis ich daheim bin, werde ich das schon irgendwie aushalten.

Die blaugelbe Pornowelle von Radio Niederösterreich

Was ich dann während der vierzigminütigen Autofahrt erleben durfte, ließ mich zunächst verschlucken, dann staunen, dann singen. Begrüßt wurde ich mit – no na – Schlager. Kristina Bach – Du gehst mir langsam unter die Haut – und vor allem die sich wiederholende Textzeile „…denn deine Hände sind wie kleine Brände ganz tief in mir, ganz tief in mir…“ sorgte für einen veritablen Verschluck- und Hustenanfall und ich glaube, ich wurde sogar etwas rot im Gesicht. Danach lief eine Nummer von Dean Martin, die mich so richtig bewusst werden ließ, wie alt ich eigentlich schon bin und danach kam, welch Wahnsinn: Stefanie Werger! Stoak wia a Felsen. Und ich musste unweigerlich mitsingen. Unweigerlich! Und ich habe mir nicht einmal Gedanken darüber gemacht, warum ich überhaupt den Text kann. Den kann man halt einfach.

Twitter, Schüler

Sofort musste ich dieses Erlebnis auf Twitter posten, woraufhin ein User meinte: „Wir sollten alle viel öfter Radio Niederösterreich hören!“ Dem wollte ich nachkommen. Ungefähr zur selben Zeit wurde mir ein neuer Mitarbeiter als Schüler zugeteilt. Während einer Pause fragte er mich, ob es mich stören würde, wenn er sich einen Bauernsender einschalten würde. Meine Nachfrage, um welchen Sender es sich handeln würde, beantwortete er mit „Radio Niederösterreich“. Seltsamer Zufall. Wir sinnierten dann weiter über den Sender und die Musik und ich begann daraufhin, den Sender immer wieder zu hören.

Kindheitserinnerungen

Meine Mutter war von der ersten Sendeminute an Hörerin von Ö3. Der Sender lief bei uns fast den ganzen Tag, was sie aber nicht mochte, war das Mittagsjournal (und Silly Solid Swound System, das ist aber jetzt nicht das Thema). Das Mittagsjournal war ja damals auf Ö1 und Ö3 durchgeschalten, also schaltete sie um 12 immer auf Radio Niederösterreich um. Und bei meiner fortschreitenden Hördauer kamen mir die Erinnerungen zurück ins Bewusstsein.

Zwölferläuten

Mittagsglocken! Alter! Da kommen um Punkt 12 noch immer die Mittagsglocken! Nicht, dass ich jetzt sonderlich kirchenaffin wäre aber diese Sendung ist einfach genial. Hört man beispielsweise die Glocken einer Kirche aus Ortschaften, die einem was bedeuten, weckt das starke sentimentale Gefühle. Auch ist das Drumherum sehr interessant, denn man bekommt erklärt, wann die Kirche gebaut wurde, was architektonisch besonders ist – und für meinen Schüler offenbar sehr wichtig: Dass man sich in der Pfarre Mariahilf den Augensegen holen kann. (?!? Äähm, aha.) Wir haben bereits eine Whatsappgruppe „Glockenfreunde“ gegründet, in der wir die täglichen Mittagslocken erörtern und nach Klang und Herrlichkeit – oder eben dessen Gegenteil – bewerten.

Programm

Besonders fein ist aber die Programmvielfalt auf diesen Frequenzen. Der Sonntag ist da überhaupt herauszustreichen, da leisten die Mitarbeiter der Landesstudios und deren Übertragungswagen eigentlich die meiste Arbeit: Da werden noch Gottesdienste live aus Kirchen übertragen, da gibt es den Frühschoppen mit Blasmusikkapellen jeden Sonntag live aus einer anderen Gemeinde oder einem anderen Landesstudio, gleiches gilt auch für die Sendung Radio 4/4, die jeden Samstag live aus einer anderen Gemeinde in Niederösterreich gesendet wird. Wie das „neue“ ORF-Frühstücksfernsehen, nur schon seit langer Zeit.

So weit beispielsweise der Frühschoppen musikalisch von mir entfernt ist, so sehr fasziniert er mich und bringt mir die ureigene österreichische Kultur näher, wenn ich auch die Sendung immer mit einem gewissen Augenzwinkern höre.

Der Sonntag wird somit zur Zapporgie im Radio:
08 – 10 WOW mit Robert Steiner und Rolf Rüdiger auf Radio Wien
10 – 11 Ambiente, Reisesendung auf Ö1
11 – 12 Frühschoppen auf Radio Niederösterreich
12 – 13 Quiz auf Radio Niederösterreich
13 – 14 Mittagsjournal und Quiz auf Ö1

Auch das täglich wechselnde Abendprogramm kann sich hören lassen. Täglich ein anderes Thema: Schlager (sogar aus den 50ern bitte), Volksmusik, Blasmusik, Austropop, Jazz, neue Musik aus Niederösterreich bis hin zur Klassik! Und das beste ist: Um 22 Uhr kommt das ORF Abendjournal in voller Länge, ich brauche nicht auf Ö1 umschalten.

Vielfalt, die wo anders fehlt

Umso mehr wird einem Bewusst, wie viel die Vielfalt eigentlich auf anderen Sendern fehlt. Warum gibt es zB. auf Radio Wien keine Sendung über Wiener Lieder? Könnte man doch einmal in der Woche abendlich ausstrahlen.

Österreichische Toleranz

Radio Niederösterreich versucht irgendwie, das gesamte musikalische Spektrum, das in Österreich konsumiert wird, abzudecken. Und das bringt mich eigentlich zu einem sehr schönen Gedanken:
Ja, mir gefällt es sehr, wenn sie eine alte Elvis-Nummer auflegen, das muss aber wem anderen überhaupt nicht gefallen.
Genauso gefallen mir aber diese Schlagernummern größtenteils überhaupt nicht, die da über den Äther strahlen. Ich weiß aber, dass das wem anderen gefällt, darum toleriere ich das – und erweitere gleichzeitig meinen Horizont – wenn auch in eine für mich seltsame Richtung. Gegenseitige Toleranz und Rücksichtnahme at it’s best sozusagen. Und so ertappe ich mich immer öfter dabei, wenn mir Ö3 und alle anderen am Zuz gehen, dass ich umschalte auf den „Bauernsender“. Die Musik meines Lebens.